Das Werk „Schrei nach Geborgenheit - Emotionale Begleitung bis in die Pubertät“ habe ich per Post am 21. März 2023 von Gundula Göbel persönlich zugeschickt bekommen. Gundula hatte eine florale Postkarte mit ein paar lieben Zeilen dazu gelegt. Diese Form der Wertschätzung und der dadurch entstehenden Nähe über eine weite räumliche Distanz ist nicht nur ihr Naturell, sondern wird sich auch in ihrem Buch widerspiegeln:
"Leistungsdruck beginnt heute schon mit der Geburt, zieht sich durch die Krippen-, Kindergarten- und Schulzeit bis hinein in das Berufsleben. Doch Erfolg entsteht nicht durch Druck und Zwang, vielmehr sind dafür seelische Gesundheit und erlebte Bindungssicherheit zentrale Schlüssel. Wie sich die Bindung zum Kind entwickelt und Eltern sie im Alltag mit ihren Kindern fördern können, beschreibt die Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin Gundula Göbel in diesem Buch einfühlsam und gut verständlich. Die Sehnsucht der Kinder, die diesem Buch den Titel gab, wird auf berührende Weise dargestellt. "Schrei nach Geborgenheit" richtet sich an alle Eltern, die ihr Kind emotional stark machen möchten. Auch für pädagogische Fachkräfte eignet es sich hervorragend. Der Leser erhält berührende und leicht umsetzbare Anregungen, wie die seelische Gesundheit und die erlebte Bindungssicherheit gefördert werden können."
Als ich das Buch aus seinem Umschlag nahm, war ich bereits begeistert. Es ist fest eingebunden, sehr stabil und die einhundertundsechs Seiten sind in der Papierdicke vergleichbar mit dem Papier einer festen Broschüre.
Bedeutet: Man kann umblättern ohne seine Finger anlecken und ohne Sorge haben zu müssen, dass sich bei wiederholtem Lesen die Qualität des Buches verschlechtert.
Das Cover ist ansprechend - nicht überladen, sondern durch die zwei Bilder, die einen Säugling und einen Teenager zeigen, direkter Ausdruck von der Thematik, die im Text behandelt wird: Emotionale Begleitung bis in die Pubertät.
Der oben aufgeführte Klappentext ist kurz, präzise und bereitet adäquat auf den Inhalt vor.
Ich werfe einen ersten Blick in das Werk: der Aufbau des Buches ist klassisch.
Heißt: Titelseite, Urheber- und Druckinformationen, Dankesworte, Vorstellung der Autorin, Inhalt, Fließtext, Quellenangaben und Verweise auf bereits erschiene Werke der Autorin. Das Layout ist sehr sauber und klar: Die Farben des Covers finden sich im Text wieder. Überschriften, Unterüberschriften und (eigene) Zitate sind farblich und sprachlich voneinander abgrenzbar.
Gundula Göbel arbeitet mit verschiedenen Bildern, die den Charme von Fotos besitzen, wie ich sie in meinem Fotoalbum aus Kindertagen wiederfinden würde. Diese Art Fotos zu wählen, finde ich ansprechend, da die Bilder den/die Betrachter*in eine emotionale Schneise in die eigene Vergangenheit schlagen lassen und die Identifizierung mit und das Verständnis von den Texten dadurch greifbarer wird.
Besonders mag ich die Tipps "zum Weiterlesen", die formal direkt ins Auge springen, wenn Themen nur oberflächlich angeschnitten wurden (Bsp. traumatische Geburtserfahrungen, kindliche Entwicklung, Reaktion auf weinende Babys, die Macht von Sprache...). Hier gibt Gundula Göbel keine Verweise auf ihre eigenen Werke, sondern auf versierte Kolleg*innen. Diesen Support von Anderen mag ich sehr!
Ein Geheimnis möchte ich Ihnen auch noch vorab verraten: Es werden häufig Beispiele aus der eigenen Berufspraxis angeführt. Beispiele, die individuelle Schicksale beschreiben und zum Nachdenken anregen. Sie machen das Buch lebendig und haben mich zum Weinen gebracht. Nah an die eigenen Emotionen und Baustellen. Aber nicht so nah, dass ich mich im Nachhinein verlassen und unverstanden fühlte. Ich wurde durch positive Formulierungen und kraftgebende Inhalte immer wieder neu aufgefangen.
Ich halte ein insgesamt sehr strukturiertes und formschönes Buch in den Händen, welches mich an den strengen Aufbau meiner wissenschaftlichen Arbeiten zu Studienzeiten erinnert: fachlich und wissenschaftlich auf höchstem Niveau, aber dennoch so formuliert, dass das Lesen Freude bereitet und nicht in Arbeit ausartet ;o).
Ich möchte, bevor ich tiefer in den Inhalt einsteigen werde, erwähnen, dass das Werk nicht nur an Eltern gerichtet ist, sondern gleichzeitig ein wertvoller Impulsgeber für alle kindlichen Bezugspersonen innerhalb und außerhalb der Kernfamilie. Ich fühle mich allein durch die Einleitung und die persönliche Geschichte von Gundula Göbel angesprochen, sowohl privat als (pflegende) Mutter von drei Kindern als auch fachlich als Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin, die Themen Bindung und Beziehung zu meinen und den mir anvertrauten Kindern und Jugendlichen zu überdenken. Deshalb spreche ich mich bereits nach den ersten Seiten dafür aus: Lesen Sie dieses Buch - für sich selbst, die eigenen Kinder, die Kinder der Nachbarin, die Kinder, die Sie in Kindergarten, Schule, Hort oder Freizeiteinrichtung betreuen. Lesen Sie dieses Buch, wenn Sie beruflich mit Kindern arbeiten, wenn Sie sie schützen, halten und ein Stück auf dem kindlichen Weg begleiten - seien Sie es sich wert!
Kapitel 1: Bonding
Im ersten Teil des Buches wird die Bedeutung von Bonding als Wurzel für Bindung und Bildung eindrücklich dargestellt. Die Bausteine, die eine glückliche und gelingende Bondingerfahrung für Säugling und Eltern überhaupt erst ermöglichen, werden ebenso beschrieben, wie die Faktoren, welche einfühlsame Bondingerfahrungen für Säugling und Eltern erschweren können. Sie brauchen sich aber keine Sorgen zu machen, dass Sie ein Buch in den Händen halten werden, das eine Perfektion beschreibt und in der Nebensache mit erhobenem Zeigefinger agiert. Ausführlich wird in diesem Kapitel nämlich auch benannt, wie die Familie negativen (eigenen) Kindheits-, Geburts- und Wochenbetterfahrungen entgegenwirken und so ein Nährboden für stabile Bindungs- und Beziehungserfahrungen geschaffen werden kann.
Kapitel 2: Bindung
An dem Sonntagvormittag, an dem ich das Werk "Schrei nach Geborgenheit - Emotionale Begleitung bis in die Pubertät" verschlungen habe, verhielt ich mich genau entgegengesetzt zu dem, was ich mir für die Begleitung meiner Kinder als Maßstab angelegt hatte - ich war abwesend. Irgendwie mutet es widersprüchlich an, über Bindung zu schreiben, wenn ich in dieser Zeit doch selbst nicht aktiv greifbar gewesen bin. Ich möchte hier aber nicht nur meine eigene Schwäche hervorheben und zeigen, dass auch mit den besten Gedanken, Plänen und Absichten manchmal elterliche Bedürfnisse vorrangig zu behandeln sind, sondern ebenfalls den Umstand, dass Gundula Göbel es geschafft hat, die Bindungserfahrungen eines Menschen von Geburt bis hin zur Pubertät so praktisch, realitätsnah und für Fachfremde so verständlich zu verpacken, dass ich behaupten kann: Ich habe nach diesem Kapitel einen fundierten Einblick in die vielfältigen Bausteine der Bindungsentwicklung sowie deren Tragweite für die Beziehung zwischen Kind und Eltern, als auch für die Bedeutung innerhalb der kindlichen Entwicklung generell, erhalten. Ich habe Wissen über genetische Vorprägungen gewonnen und Wissen über die vier Bindungstypen aufgefrischt, Co-Regulation verstanden und wurde erneut in meiner Haltung bestärkt, dass man Babys per se nicht verwöhnen kann! Und auch hier werden wieder Bedürfnisse, Möglichhkeiten zur Entlastung sowie Handlungsempfehlungen von und für Kinder und Eltern ausführlich dargestellt. Chapeau, Gundula. Chapeau!
Ich möchte gar nicht zu genau auf die vier Bindungstypen eingehen - das wird an unzähligen weiterführenden Stellen sehr oft und ausführlich getan. Ich möchte hierzu aber doch ergänzen, dass ich vorher noch nie - weder im Studium der Psychologie, noch im Studium der Sozialen Arbeit - ein Buch gefunden habe, das die vier Bindungstypen auf die Eltern überträgt. Gundula Göbel gibt eindeutige Praxisbeispiele, die die Bindungstypen aus der Perspektive der Eltern beschreiben. Ich bin beeindruckt und kann zum ersten Mal mit der Theorie von Bowlby uneingeschränkt um- und mitgehen.
Besonders berührt hat mich der Abschnitt zur Bindung zwischen Vater und Kind. Die Tragweite und Diversität in der Beziehung zwischen Mutter und Kind und Vater und Kind kann sich manchmal ambivalenter nicht darstellen. Oft sorgen sich Eltern um die Bindungsintensität zwischen den Elternteilen und am Ende findet sich doch alles in einer Kernaussage wieder: "Mütter und Väter dürfen unterschiedlich agieren." (Gundula Göbel)
Kapitel 3: Bildung
Im Kapitel Bildung wird die unausweichliche Verbindung von Bildung und Bindung beschrieben. Einerseits die Bindung an die Familie und die Bedeutung von Urvertrauen. Andererseits die Bindung der Schüler*innen an die pädagogischen Fachkräfte oder Lehrer*innen. Ich fühle mich ganz mit Gundula verbunden, wenn sie schreibt: "Wir brauchen keine neuen Förderprogramme für Kindergarten und Schulkinder, sondern mehr Zeit und eine angemessene "emotionale Versorgung." Eben diese Tatsache kann ich aus meiner Erfahrung als pädagogische Fachkraft in einem Kindergarten, aber auch aus den Beobachtungen einer Mutter von drei Kindern, nur bestätigen. Besonders liebe ich die Lösungsansätze, die im Buch immer mit dazu gereicht werden . In Kapitel 3 sitze ich nicht mehr da, wie zu Anfang, und frage laut: "Ja, was denn? Was kann man stattdessen tun?" Nein, Gundula Göbel hat eine unvergleichliche Art die Lösung gleich mit zu servieren. Sie dürfen von diesem Buch also nicht nur das Aufzeigen von Fragen, Problemen und Hürden erwarten, sondern auch Lösungen. Diese Einzigartigkeit komplexe Sachverhalte auf wenige Worte und Kernaussagen zu reduzieren, ist wirklich erstaunlich. Hierdurch wird das Buch zu einem lesenswerten Werk für alle Interessierten und ist nicht nur ein "nice to have" für Fachpersonal.
Kapitel 4: Pubertät
Ich mag den Vergleich von Claudia und David Arp: "Die Kunst einen Kaktus zu umarmen": Ich verstehe diese Metapher so, dass sich Jugendliche zwar weiterhin ganz viel Liebe, Geborgenheit, Verbundenheit, Anerkennung und grenzachtende körperliche Nähe wünschen, aber nicht immer in der Lage sind, dies auch zu zeigen. Gerade in Situationen, in denen sie versuchen frei und autonom zu interagieren und sich von ihrer Ursprungsfamilie abzulösen oder Konflikte und unterschiedliche Meinungen ausdiskutiert werden müssen, scheint dieser Wunsch nicht dem zu entsprechen, wonach die Jugendlichen im Grunde streben. Diese Unsicherheit auf neuen Wegen verlangt laut Gundula Göbel nach sinngebenden Grenzen und Ritualen, um die Bindung zu erhalten, zu festigen und immer wieder neu entstehen zu lassen.
Da es für mich, als Mutter meines ganz persönlichen Kaktus, auch mitunter schwierig ist, in die Verbindung zu kommen, haben sich die Fallbeispiele in diesem Kapitel lesen lassen, wie ein spannender Krimi. Das Beispiel eines Mädchens und das Beispiel eines Jungens mit ganz unterschiedlichen Sorgen und Nöten haben so viele Themen offengelegt, die nicht immer an der Oberfläche schwimmen und mir persönlichen einen anderen Blickwinkel auf Jugendlichen eröffnen.
Ich bin sehr kritisch - mit fremden Texten und mit meinen eigenen Texten. Mit der Art und Weise, wie Menschen Theorien interpretieren, diese erklären und Beispiele dafür finden. Mit Unbekanntem.
Doch bei diesem Buch gibt es keine Stolpersteine. Keine Fragen, die offen bleiben. Hier finden Sie Antworten auf die Fragen, die Sie sich schon immer gestellt haben. Und auf die Sie nie von allein gekommen wären.
Herzensempfehlung!
Erhältlich sind die Bücher von Gundula Göbel über www.thekla.de, www.infantastic.de oder direkt über Sie selbst.